Heute Vormittag habe ich frei. Der Zion Canyon ist ziemlich gerade, nur an einer Stelle ragt ein fast fünfhundert Meter hoher Sandsteinmonolith in die Mitte des Canyons, während sich der Fluss in einem kleinen Bogen außen herum schlängelt. Jedes Mal, als wir das Tal hochgefahren sind, haben wir ihn gesehen, und ich habe mir gewünscht, mal oben zu stehen, heute vormittag will ich das in die Tat umsetzen.
Es führt ein Wanderweg hoch nach Angel's Landing, wie der Gipfel heißt. Man muss schwindelfrei sein für den Weg, aber das bin ich ja eigentlich, und laut Routenbeschreibung sollte der Rundtrip in vier Stunden zu machen sein. Um noch vor den Massen oben zu sein, stehe ich kurz nach sechs auf, als es noch tief-schwarze Nacht ist, und mache mich dann mit der Morgendämmerung mit dem Fahrrad auf den Weg zum Startpunkt der Wanderung, unten im Canyon, den wir inzwischen ganz gut kennen.
Inzwischen geht gerade die Sonne auf, auch wenn sie den Talboden noch längst nicht erreicht hat. Und es steht eine Warnung am Beginn des Weges, dass seit 2004 schon sieben Menschen hier zu Tode gestürzt sind. Das fängt ja nicht gerade vielversprechend an. Der Weg ist erstmal überhaupt nicht, was ich erwartet hatte. Sanft schlängelt er sich eine Weile durch das Tal, um dann langsam steiler zu werden und in Serpentinen überzugehen. Dabei ist er aber immer fast zwei Meter breit und geteert. Auch das Stück durch den ersten Felsabbruch ist zwar nicht gesichert, aber es ist der gleiche zwei Meter breite Pfad aus dem Fels gehauen, so dass ich zügig laufen kann und schnell an Hõhe gewinne, und bald auf dem ersten kleinen Sattel hinter dem eigentlichen Felsen von Angel's Landing bin. Schon von hier hat man einen tollen Blick über das Tal nach Südwesten, während in die andere Richtung der Blick noch durch Felswände versperrt ist.
Nach einer Weile durch ein fast ebenes Seitental steigt der Weg wieder steil an und windet sich in engen Serpentinen hinauf zu einem zweiten Sattel. Etwa 300 Meter befinde ich mich schon über dem Talboden, zwei von insgesamt zweieinhalb Meilen liegen hinter mir und ich bin erst etwa vierzig Minuten unterwegs. Noch sieht es nicht nach einer Vier-Stunden-Wanderung aus.
Ich bin jetzt oben auf den dreihundert Meter hohen senkrechten Klippen direkt über dem Zion Canyon, und an den Aussichtspunkt wage ich mich nur ganz vorsichtig heran, obwohl es ein Geländer gibt. Bis hier oben hätte ich zwar die Kinder nicht selber laufen lassen, aber man wäre locker mit dem Anhänger hoch gekommen. Allerdings kommt hier die eigentliche Abzweigung zu Angel's Landing, und der Weg ändert abrupt seinen Charakter. Über einen Grat geht es eine geneigte Felswand hoch, die nur an ein paar Stellen Eisenketten zum Festhalten hat, ansonsten ist es Kraxeln. Und nur ein paar Meter unterhalb wird der Fels immer steiler und neigt sich außerhalb der Sicht vermutlich ins Senkrechte. Es ist nicht die Seite zum Zion Canyon hin, von daher geht es vermutlich nicht ganz so tief hinunter, aber Abrutschen sollte man hier nicht.
Vor mir hat einer genug und dreht lieber wieder um, aber es kommen mir auch die ersten Rückkehrer von der Spitze schon entgegen. Nachdem einem Stück am geneigten Fels entlang geht es wieder etwa hinunter zu einem schmalen dritten Grat. Der Wanderweg läuft jetzt auf der Talseite hin, direkt an der oberen Kante einer über dreihundert Meter hohen senkrechten Felswand. Er ist nur mannsbreit, und auf der anderen Seite geht der Fels senkrecht noch ein paar Meter weiter nach oben. Mir reicht schon der Anblick, traue mich gar nicht bis an den Beginn des Grats, setze mich erstmal ein paar Minuten hin, und überlege, ob ich umdrehe. Währenddessen kommen mir zwei weitere Wanderer sorglos entgegengelaufen, also raffe ich mich schließlich auf und taste mich vorwärts zum Beginn des eigentlich Gratpfades. Dahinter sehe ich, wie der Weg an fast senkrechte Felsen weiter hoch führt. Ich bewege mich schon so Nahe an der Mauer wie möglich (was ein Fehler ist, man sollte eigentlich gerade stehen), und kann mir trotzdem nicht vorstellen, wie ich vor mir mit Gegenverkehr umgehen könnte. Gleichzeitig ist der Sandstein vielfach auch mit Sand bedeckt und kommt mir viel zu rutschig vor. Hier wundert es mich fast, dass seit 2004 nur sieben Menschen abgestūrzt sind, gerade, wenn im Laufe des Tages noch mehr los sein wird, aber ich weiß ja auch nicht, ob das Schild nicht schon drei Jahre später aufgestellt wurde.
Ich sitze nochmal ein paar Minuten am Beginn des Grates und entscheide mich dann für Rückzug. Wenn die innere Sicherheit fehlt, dann fehlt auch die äußere und man sollte es besser lassen, und so geht es mir hier.
Da die geplanten vier Stunden erst zur Hälfte rum sind, als ich wieder am Fahrrad bin, gehe ich noch eine zweite Wanderung an. Diese ist zwar auch ausgesetzt, vielleicht durch die Gewöhnung der letzten, vielleicht dadurch dass die Kante nicht ganz senkrecht und nicht ganz so hoch ist, kein Problem. Leider wartet aber am Ende auch kein grandioser Ausblick, sondern der eher enttäuschende Hidden Canyon, dem ich ein Stück folge, der aber nicht die Kletterei bietet, die ich mir nach den Slot Canyons in Escalante erhofft hatte.
Den Nachmittag unseres letzten Tages hier im Zion National Park verbringen wir dann gemeinsam an unserem Sandstrand am Flüsschen bei unserem Zeltplatz. Morgen geht es dann mit dem Fahrrad weiter. |